Warum ich Gewalt und Zwang mag

Guten Tag liebes Tagebuch und lieber Blog!
Das ist mein erster Post. Sicher wundert ihr euch, dass ich so gerne aus Institutionen des Zwangs und der Gewalt berichte. Nun, mich hat das schon immer fasziniert, andere unterwerfen und die völlige Macht über Typen zu haben, die das Recht auf Freiheit verspielt haben. Aber lest selbst, hier sind zwei meiner längsten Texte, die ich je verfasst habe und zugleich zwei Meisterwerke meiner Hospitationen.

Gestern hospitierte ich von 7 Uhr bis 15:40 Uhr in der JVA Moabit. Obwohl ich die Arbeit dort schon 2015 begleitete, ist es wichtig sich in regelmäßigen Abständen ein Bild vor Ort zu machen. Der Justizvollzug spielt in der Öffentlichkeit kaum eine wahrnehmbare Rolle. Vielmehr wird über Richter und Staatsanwälte berichtet. In der U-Haft gilt die Unschuldsvermutung und die Insassen warten dort auf ihren Prozess. In der Strafhaft erfolgte das rechtskräftige Urteil bereits und die Täter sitzen teils jahrelange Haftstrafen ab. Das ist jeweils eine besondere Herausforderung für den Justizvollzug.
Als ich am Morgen am Besuchereingang wartete, konnte ich nicht sofort abgeholt werden, weil der Alarm ausgelöst wurde. Ein Insasse randalierte im Haftraum. Danach empfing mich die Leiterin und der Vollzugsdienstleiter der Teilanstalt 1. Wir hatten dann ca. 2 Stunden Zeit um zahlreiche Themen zu besprechen. Wir diskutierten unter anderem über die Personalsituation, den Sanierungsbedarf, die Sicherheit, die Organisierte Kriminalität, mutmaßliche Terroristen, Gefährder, Prävention, Sozialräume, Krankenstand und Gewalt gegen Vollzugsbedienstete.
Im Anschluss wurde ich vom Leiter der Abteilung Sicherheit abgeholt. Nach einem längeren Gespräch zur Organisierten Kriminalität (Rocker- und Clankriminalität) sprachen wir auch über Gefährder und mutmaßliche Terroristen. Diese drei Formen stellen den Vollzugsdienst vor besondere Herausforderungen.
Ich informierte mich auch über den laufenden Wettbüromordprozess und die mutmaßlichen Tatbeteiligten, aber auch konkret über namentlich bekannte Gefährder. Ich wollte wissen, wie der Haftalltag mit diesen Personen abläuft und welche Möglichkeiten bei ihnen hinsichtlich der Deradikalisierung bestehen. Die Erkenntnisse zur Gewaltbereitschaft, aber auch die Hierarchien innerhalb der Haft wurden mir dabei sehr deutlich.
Plötzlich ging ein weiterer Alarm der Stufe 2 los. Das bedeutete, dass die Anstaltsleiterin die Führung der folgenden Maßnahmen übernahm. Alle Insassen mussten sofort in die Hafträume und die Vollzugsbediensteten sammelten sich. Es war zum Glück nur ein Probealarm.
Unser Rundgang ging weiter. Ich schaute mir den Haftraum eines radikalisierten Gefährders an. Dieser gilt als äußerst gefährlich und greift regelmäßig den Beamte des Vollzugsdienstes an. Sein Prozess ist für 2018 angesetzt.
Ein paar „bekannte Gesichter” sah ich auch. So beispielsweise Kadir P., welcher in Arbeitskleidung dort unterwegs war oder beim Freigang im Hof, wo ein paar Beschuldigte des Wettbüromordprozesses herumliefen.
Im Anschluss fand ein gemeinsames Mittagessen mit der Beschäftigtenvertretung statt und wir diskutierten danach im Raum der Personalrätin weiter. Ein großes Thema war die Wertschätzung der Arbeit. Natürlich spielt die Besoldung eine große Rolle. Es stellt sich auch die Frage: Wie kann man die Mitarbeiter/innen halten? Positiv anzumerken ist, dass es erstmalig eine Prämienzahlung gab. Der hohe Krankenstand belastet das gesamte Gefüge jedoch nach wie vor stark. Auch eine gerechte Gitterzulage steht immer wieder im Mittelpunkt von Debatten innerhalb der Anstalt. Das Anrechnen der Erfahrungsstufen muss besser laufen. Der Austausch tat gut, weil ich hier noch einmal einen anderen Einblick in die Personalsituation bekommen konnte. Besonders möchte ich hier die Sozialberatung positiv hervorheben.
Zum Schluss gab es ein Gespräch mit der neuen Anstaltsleiterin. Auch hier wurden kritische Themen angesprochen. Das Problem, dass in der JVA Tegel kein Neubau entsteht, hat Auswirkungen auf die Kernsanierung einer Teilanstalt der JVA Moabit. Die Personalsituation wurde angesprochen. Es fehlen Vollzugskräfte obwohl nun intensiv ausgebildet wird. Die Sicherheitstechnik wird ab 2018 auf dem neusten Stand sein.
Mein Fazit: die besondere Herausforderung für die Vollzugsbediensteten findet im Alltag statt. Hier spürt man, ob genug Personal und die richtige Schutzausstattung vorhanden ist. Gewalt gegen Beamt/innen des Vollzugs darf nicht aus dem Fokus geraten und für das Berufsbild müssen neue Perspektiven geschaffen werden. Die Kernarbeit findet in den Teilanstalten statt. Auch der tägliche Umgang mit Menschen die Kleinst- oder Schwerstkriminelle waren hinterlässt Spuren.
Meine Hochachtung für die geleistete Arbeit in der JVA Moabit und mein herzlicher Dank für diese intensiven Einblicke in Ihre Arbeit. Ich stehe an Ihrer Seite.

übernommen von https://tom-schreiber.berlin/hospitation-in-der-jva-moabit-am-21-12-2017/

Besonders stolz bin ich auch auf meine Hospitation in der Folterzentrale der Berliner Polizei:

Gestern hospitierte ich von 6 Uhr bis 17:30 Uhr im Gefangenenwesen der Polizei Berlin am Tempelhofer Damm. Im Oktober 2017 absolvierte ich dort bereits einen Besuch gemeinsam mit dem Personalrat vor Ort. In dieser Begleitung einer 12-Stunden-Schicht ging es im Besonderen darum, die Abläufe und den Arbeitsalltag besser kennenzulernen.
Dabei habe ich motivierte Angestellte und Beamt/innen erleben können. Der Job hat inner- und außerhalb der Behörde mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Zusammenfassend lässt sich über das Gefangenengewahrsam sagen, dass dort “die ganze Palette” vertreten ist – vom Ladendieb bis hin zum IS-Gefährder. Die Mitarbeiter/innen leisten eine hochprofessionelle Arbeit. Leider gehören Angriffe und Beleidigungen der Inhaftierten genauso zum Alltag, wie das Bitten und Betteln um Selbstverständlichkeiten. Der Sanitärbereich für die Angestellten und Beamten/innen sowie der Insassen entspricht nicht dem Standard im Jahr 2018. Auch die Beschaffung weitere Hygieneartikel lässt zu wünschen übrig.

Während meiner Hospitation lernte ich die Gefangenensammelstelle sowie das Gewahrsam kennen. Darüber hinaus erhielt ich Einblick in den Bereich der Justiz für die sogenannten Schnellverfahren. Es ist sichtbar und spürbar, dass in den letzten 20 Jahren nicht wirklich Personal im Gefangenenwesen eingestellt wurde. Auch gibt es noch den den alten Wechseldienst mit einer Dauer von 12 Stunden. Ebenso gibt es Ungerechtigkeiten beim Wechsel vom Zentralen Objektschutz (ZOS) zum Gefangenenwesen. Das äußert sich unter anderen darin, dass in diesem Fall nur nach E6 und nicht nach E8 bezahlt wird.

Externe Ärzte kümmern sich um die eingelieferten Personen. Entweder kommen Beamt/innen eines Abschnitts, eine Hundertschaft oder das Sondereinsatzkommando (SEK). Die eingelieferten Personen werden jeweils zweimal kontrolliert. Die Kontrolle erfolgt sehr gründlich, weil man immer davon ausgehen muss, dass die Menschen Waffen, Messer oder Rasierklingen dabei haben könnten. Alle persönlichen Gegenstände werden erfasst und kommen in die sogenannte Effekte-Kammer. Jede Person kann und darf nur 48 Stunden festgehalten werden. Dabei zählt die Festnahmezeit und nicht die Annahmezeit. Innerhalb der Gefangenensammelstelle und des Gewahrsams gibt es bei den Bediensteten keine Waffen. Sollte eine Person die Angestellten oder Beamt/innen angreifen, so müssen zusätzliche Unterstützungskräfte angefordert werden. Einige Personen kooperieren, andere widersetzen sich mutwillig jeder Maßnahme. Deshalb muss jede Einbringung individuell betrachtet und durchgeführt werden.

Das Gericht hat vor Ort eine Zweigstelle eingerichtet und ich konnte mir zwei sogenannte Schnellverfahren anschauen – gegen einen Moldawier und gegen einen Polen. Das erste Verfahren konnte zügig durchgeführt werden, weil sich herausstellte, dass die betroffene Person eine Meldeanschrift in Brandenburg hatte. Im zweiten Verfahren ging es darum. dass der Verdächtige in einem Baumarkt Waren im Wert von etwa 200 Euro gestohlen haben sollte. Besonders tragisch war, dass der Mann ausgerechnet an diesem Tag Geburtstag hatte und keinen Wohnsitz in Deutschland nachweisen konnte. Die Amtsanwaltschaft forderte in seinen Fall auf eine Strafe, die mit 30 Tagessätzen je 5 € belegt wurde. Die Richterin entsprach dieser Forderung. Die Einstellung des Beschuldigten war überraschend. Er sagte “Ich will in den Knast!” Er war enttäuscht über das Urteil und wurde noch am selben Tag entlassen.

Ehe die Verhandlung begann kam es zu einer skurrilen Situation. Ein Polizeibeamter begleitete mich in den Gerichtssaal. Die Richterin sah uns und forderte mich auf, vor ihr Platz zu nehmen, da sie mich für den Beschuldigten hielt. Zum Glück intervenierte der Beamte und klärte die Situation auf. Der Richterin war es etwas peinlich, doch letztlich konnten wir alle über diesen Fehler schmunzeln.

Im Verhandlungsraum neben uns saß ein 49-jährige Mann, der beim Schmuggel von knapp 400 Kilogramm Kokain erwischt wurde. Die Verlesung seines Strafantrages fand jedoch nicht öffentlich statt. Das SEK brachte an diesem Tag auch einen Gefährder zum Tempelhofer Damm, welcher am Nachmittag in Berlin festgenommen worden war. Es war für mich befremdlich festzustellen, dass ein Gefährder durch ein Sondereinsatzkommando eingeliefert wird, die Beamt/innen vor Ort jedoch im weiteren Verlauf ohne jegliche Schutzausstattung für 48 Stunden mit ihm umzugehen haben. Ich denke, dass wir diesen Zustand zügig anpacken und verbessern müssen. Stellen wir uns doch vor, dass ein 60-jähriger Angestellter einem IS-Kämpfer mit entsprechender Ausbildung gegenübersteht. Es braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, dass es so schnell zu einer einer lebensbedrohlichen Situation kommen kann.

Auch die Sicherheitsschleuse und das enge Treppenhaus entsprechen nicht wirklich den aktuellen Sicherheitsstandards. So müssen die Betroffenen zum Beispiel in das Gewahrsam gebracht, damit sie später in die U-Haft gebracht werden können. Dies ist kein einfaches Unterfangen – unabhängig davon, ob es sich um einen Ladendieb oder einen mutmaßlichen Mörder handelt. Die Beamt/innen und Angestellten erleben an diesem besonderen Arbeitsplatz Dinge, welche kaum oder nie öffentlich werden. Die Arbeitsbedingungen sind nicht optimal, aber die Führungskräfte und Mitarbeiterschaft machen das Beste daraus. Das verdient Respekt und Anerkennung. Das muss sich auch durch die Arbeit des Parlaments viel deutlicher als bisher zeigen. Ich bin dankbar dafür, die Mitarbeiter/innen dort kennengelernt zu haben und für die Einblicke, die sie mir während dieser Hospitation ermöglicht haben.

übernommen von https://tom-schreiber.berlin/hospitation-im-gefangenenwesen-der-polizei-berlin-am-02-03-2018/